Kapitel 2
Als ich dem Link folge, erscheint nur ein kurzer Text auf dem Bildschirm. Es geht um einen gewissen Travis Simon.
Englands bekanntester Dreamer.
Wieso habe ich dann noch nie etwas von ihm gehört?
Gab eine Seminararbeit mit Staatskritischen Texten ab. Wurde daraufhin verhaftet und hingerichtet. Erster bekannter Fall eines Dreamers, der sein Leben lang die Tabletten eingenommen hat. Folgende Fälle wurden ausgelöscht.
Ich lese mir den letzten Satz mehrmals durch.
… wurden ausgelöscht.
Nein, soweit werde ich es nicht kommen lassen. Aber ich kann so auch nicht weitermachen … und geheim halten ist nahezu unmöglich. Ich bin Polizist, da wird jede Woche ein Dreamertest gemacht, bei dem die Gehirnströme gemessen werden. Und die lügen ja bekanntlich nie.
Außerdem will ich nie wieder morden. Wie konnte ich nur? Ich habe Leben beendet! Hoffentlich gibt es dieses danach, wovon Dreamer immer reden …
Und die Organisation! Was macht sie für uns? Sie verlangt, dass wir sie verehren. Nichts tun sie dafür. Und wir sind alle so blöd, dass wir ihnen vertrauen.
Was denke ich da überhaupt? Ich will wieder normal sein …
Verträumt setzte ich mich auf mein Sofa und starre durch die Gegend.
Ich bekomme beinahe einen Herzinfarkt, als es an der Tür klingelt. Ich werfe noch einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Es ist 11 … wer zum Teufel kommt so spät noch? Als ich die Tür öffne beantwortet sich meine Frage: Tony.
„Oh … hallo. Was suchst du so spät hier?“
„Ich wollte nur mit dir reden.“ Er scheint nervös zu sein. „Weißt du … ich habe darüber nachgedacht, was passiert ist. Könnte es sein … dass du die Krankheit hast?“
Natürlich, aber wenn ich dir das sage, wirst du mich erschießen. Weißt du noch? Das haben wir uns als Kinder versprochen. „Wieso sollte ich?“
„Nachdenklichkeit und Mitleid mit Dreamern sind eindeutige Symptome. Gesteh es dir ein, du hast die-“
Ich unterbreche Tony. „Entschuldigung.“ Ich packe ihn am Kragen und tausche mit Tony die Plätze. Dann befehle ich der Tür, geschlossen zu bleiben. Das dürfte Tony für eine Weile aufhalten …
„Zero, du Dreamer! Ich schwöre es dir, du wirst sterben!“
Ich gehe erst langsam nach draußen um dann fluchtartig loszurennen.
Als ich an einem Punkt ankomme, wo ich nicht mehr weiß, wo ich bin, bleib ich einfach stehen. Ich zittere am ganzem Körper. Ich wollte nicht, dass das passiert. Ich hätte ahnen müssen, dass Tony auf sowas achtet. Er hat schon immer einen Dreamer unter tausenden entdecken können.
Vorsichtig blicke ich mich um. Hier stehen keine Laternen mehr, alles ist dunkel. Am Ende der Straße kann ich ein Gebäude erkennen. Eine alte Schule, wenn meine Erinnerung mich nicht trügt. Hier haben Tony und ich immer ‚Dreamer jagen‘ gespielt. Ironie des Schicksals, denn jetzt scheint aus unserem Spiel Ernst geworden zu sein.
Langsam öffne ich die Tür. Ich bin echt lange nicht mehr hier gewesen …
Im Ruheraum lege ich mich auf eine der Liegen. Ob hier wohl vor tausend Jahren jemand gestorben ist? Wohl eher nicht, aber könnte ja sein.
Auf dem Gang ertönen Schritte. Mein erster Gedanke geht an Tony, doch dann kommt der Lockenkopf von heute früh in den Raum.
„Hm? Ha!“ Er hebt einen Finger. „Ich habe doch gewusst, dass du kommst! Du hättest nur lieber an der Brücke warten sollen, denn wenn die Töter hier gewesen wären, dürftest du einiges erklären!“
Jetzt schmeißt er sich auf eine Liege. „Halt! Woher weißt du überhaupt, wo wir leben?!“
„Ich wusste es nicht. Ich habe hier nur Zuflucht gesucht.“
„Vor irgendeinem Bullen?“
„Vor meinem besten Freund …“
„Das ist hart. Du musst akzeptieren, dass er Tabletten nimmt, aber er kann nicht akzeptieren, dass du keine nimmst …“
„Ich nehme welche.“
„Und wieso lebe ich dann noch?“
„Keine Ahnung … schon mal was von Travis Simon gehört?“
„Natürlich! Was denkst du?! Travis Simon ist DER Dreamer! Er hat so tolle Tagebücher geschrieben und jahrelang unter den unwissenden gelebt … wäre nur diese Arbeit nicht gewesen. Weißt du, er wollte nie ein Dreamer sein.“
„Genau wie ich …“
„Trotzdem ist er zum größtem geworden. Ich bin übrigens Alliot.“
„Zero. Zero Maier.“
„Mhm … und du gehörst zu den paar glücklichen, die die Tabletten nehmen können?“
„Glücklichen?!“
„Natürlich. Weißt du, wie viele Kaugummis ich fressen muss, allein wegen der Gewohnheit irgendetwas einzunehmen?“
„Aber ich verspür keine Lust, die Tabletten zu nehmen.“
„Glücklicher.“ Alliot lehnt sich zurück. „Kann ich schlafen? War eine lange Nacht … diese Idioten von der Spezialeinheit … Hoffentlich kommen die anderen noch zurück … und wenn nicht, können wir die Karren ohne Erlaubnis der Töter fahren.“
„Das glaube ich eher nicht, Trottel.“ Eine junge Frau mit knallroten Haaren steht in der Tür. Sie ist blass … fast weiß und trägt eine zerschlissene Weste, darunter ist ein langer Rock. Alles in Schwarz. Netzarmstulpen und Lederarmbänder, manche mit Nieten oder roten Fäden durchzogen, sollen wohl die Ärmel ersetzten und an ihren Arbeiterschuhen kann ich ein Glöckchen erkennen. Außerdem hat sie, ebenso wie Alliot, eine Schweißerbrille, die locker um den Hals hängt.
Neben ihr erscheint ein Mann. Er trägt eine schwarze Jacke im Stil alter Uniformen und dazu eine Schwarze Jeans. Seine Schweißerbrille ist auf den langen schwarzen Haaren platziert. "Wen hast du denn da angeschleppt?"
Kein Zweifel - das müssen die Töter sein.
"Darf ich vorstellen - ero. Tablettennehmer und Bulle!"
Entsetzt blicken die beiden mich an. Dann geht die Frau beinahe auf Alliot los. "Spinnst du?! So einen zeigst du, wo wir wohnen?!?"
"Nicht töten! Bitte! DIe Pillen haben keine Wirkug bei ihm!"
Jetzt ist es der Mann ganz nah an mich rangekommen. "Das klingt intressant!"
"Willst du jetzt etwas Tests an ihm durchführen?" Alliot wurde wieder losgelassen.
"Wer weiß."
Sein lächeln macht mir Angst. Es ist nicht psychopathisch, nicht fröhlich, nicht traurig. Es ist einfach nur ein Lächeln.
Dann stellt er sich vor. "Ich bin übrigens Spencer. Und die Lady ist Cyra - meine Frau."
Hätte ich mir ja eigentlich denken können ...
"Und, was machen wir jetzt mit ihm?" Cyra meldet sich wieder. "Wir haben zu dritt schon genug schwierigkeiten, versteckt zu bleiben und ..."
"Er hat nicht woanders hinzugehen. Sein bester Freund will ihm an den Kragen."
"Also ich bin dafür, dass er bleibt."
"Spencer!"
"Der Chef hat gesprochen! Du hast die Arschkarte, Töterin!"
Hat mich überhaupt jemand gefragt, ob ich bleiben will?! Doch diesen Gedanken sreche ich nicht aus. Ich bin eigentlich zufireden mit dieser Entscheidung.