Sogar am nächsten Tag im Flugzeug schwebte ich noch auf Wolke sieben. Nur hatte ich mich noch nicht getraut Domenico wegen dem Date zu fragen.Wie hoch waren denn die Chancen, dass er ja sagt? Gleich null! Also schob ich das Fragen ein wenig nach hinten und beschäftigte mich mit der Gästeliste für den Ball.
Die meisten Namen waren mir unbekannt, doch ein gewisser Nachname brachte mich zum Stocken. Warum hatte mir niemand erzählt, dass auch die Familie von Klint anwesend sein würde?!
„Domenicoooo?“, trällerte ich mit meiner zuckersüßesten Stimme zu meinem Onkel hinüber, der schon seit beginn des Fluges mit Michael auf den Bildschirm eines Laptops starrte. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass sie sich schon wieder Autos ansahen. Als nur ein 'hm?' zurückkam bestätigte sich meine Vermutung.
„Wann wolltest du mir denn erzählen, dass Alexander auch da sein wird?“
Jetzt sah er endlich mal von seinem Bildschirm auf.
„Also, ähm... Naja, ich dachte es wäre doch besser, wenn du es später erfährst, damit du dich noch ein bisschen freuen konntest...“
„Na klasse...“ Ich knüllte die Gästeliste zusammen und warf sie quer durch das Flugzeug. Das konnte dann ja noch interessant werden. Nora war immer noch im Glauben, dass ich auf Alexander stand und ich war mir absolut sicher, dass sie irgendwas anstellen würde. Auf jeden Fall würde ich ihm sicher nicht aus dem Weg gehen können...
Nach der Landung stiegen wir sofort in einen Helikopter um, der uns in die Berge brachte. Ich vermied es mit Domenico zu sprechen und unterhielt mich stattdessen mit Magdalena, die auch seine Begleitung für den Ball sein würde. Die letzte Etappe der Reise bestand aus einer längeren Autofahrt zu einem schicken Holzbungalow, das aussah, als hätte es schon immer in dieser verschneiten Landschaft gestanden. Wir parkten neben einem weiteren Auto, welches mich vermuten ließ, dass Gino schon da war. Als wir endlich drinnen waren ließ ich mich sofort auf eine Couch vor dem offenen Kamin fallen. Den ganzen Tag unterwegs zu sein zerrte ziemlich an den Kräften. Doch Domenico ließ mich nicht lange ausruhen. Er trug mir auf Gino zu finden, während er noch ein paar Anrufe zu tätigen hatte. Also fing ich an das Bungalow zu erkunden. Zwischendurch musste ich für Michael platz machen, der die ganze Zeit Koffer hin und her schleppte. Rebecca hielt zu Hause die Stellung und war deswegen leider nicht mitgekommen.
Meiner Meinung nach hatte dieses Haus für ein einstöckiges Gebäude eindeutig zu viele Zimmer, aber so war Domenico eben, er liebte seine Wohnorte schön geräumig. Ich hatte leere Schlafzimmer gefunden, die Küche, ein paar Büros, Magdalena beim Kleiderschrank einräumen und irgendwann erstaunlicher weise auch Gino. Er saß schweigend an einem Laptop und hämmerte in Rekordgeschwindigkeit auf die Tasten ein.
„Klopf, klopf!“, sagte ich vom Türrahmen aus. Erschrocken fuhr sein Kopf hoch und als er mich sah rückte er schnell seine Brille zurecht und stand auf.
„Oh, ich habe gar nicht gehört, dass ihr schon da seit.“
Wow, er war ja früher schon ziemlich zurückhaltend gewesen, aber jetzt war er zum Obernerd mutiert! Seine schwarzen Haare hätten mal wieder geschnitten werden müssen und seine Hemd und Jeans Kombination wirkte mindestens zwei Nummern zu groß. Das ganze wurde dann noch von einer großen Brille mit dicken schwarzen Rand abgerundet.
„Schon eine ganze Weile, aber wenn du dich hier im hinterletzten Zimmer verschanzt, dann kannst du das ja nicht mitbekommen. Komm mit, Domenico meinte ich soll dich ins Wohnzimmer bringen.“
Wir saßen schon eine ganze Weile wieder auf der Couch, als nach und nach auch die anderen wieder eintrudelten. Domenico besprach dann mit uns den Tagesablauf für morgen und riet uns früh ins Bett zu gehen, auch wenn wir ausschlafen konnten. Magdalena erklärte sich bereit das Frühstück zu machen und ich meldete mich um ihr zu helfen. Danach saßen wir noch eine Weile zusammen und unterhielten uns untereinander. Ich fragte Gino ein wenig aus und fing langsam an zu verstehen was Domenico damit gemeint hatte, als er sagte, dass sie nicht so viel Hoffnung in ihm haben. Er schien alles andere zu wollen, als das Familienunternehmen weiterzuführen und irgendwie konnte ich ihn schon verstehen, denn ich war auch nicht begeistert von der Idee.
Später im Bett ließ ich die letzte Woche noch einmal Revue passieren. In letzter Zeit passierte einfach so viel auf einmal, dass ich nicht dazu kam einmal Ordnung in meinem Kopf zu schaffen. Nora, Nicolaj, Alexander, meine Familie und diese ganze Mördergeschichte, das war einfach zu viel! Natürlich war Domenico überzeugt, dass ich damit ja gar keine Probleme haben würde und mich bald an diesen ganzen Kram gewöhnen werde. Immerhin einer von uns...
Irgendwann musste ich dann wohl eingeschlafen sein, denn als ich am nächsten Morgen aufwachte, war die Lampe auf meinem Nachttisch immer noch angeschaltet. Ich wühlte mich unter meiner warmen Bettdecke hervor und trat ans Fenster. Der Ausblick haute einen regelrecht um. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen und vor mir erstreckten sich, in zart rosa Licht getauchte, schneebedeckte Berge, soweit das Auge reichte. Auch wenn ich mich niemals mit Kälte anfreunden würde, was das schon wirklich aushaltbar. Ich sprang schnell unter die Dusche und zog mich an, dann ging ich in die Küche. Dass dort niemand war wunderte mich nicht, Magdalena und die anderen schliefen sicher noch. Also zog ich mir eine Jacke über und ging vor die Tür. An der Hauswand stand eine Holzbank, auf die ich mich setzte. Jetzt am Morgen war es besonders kalt, aber es war so friedlich, als hätte noch nie ein Mensch diese Berge betreten.
Irgendwann, als die Sonne aufgegangen und meine Nase mir fast abgefroren war, ging ich wieder ins Haus. Mittlerweile war Magdalena auch wach und kochte Kaffee.
„Guten Morgen“, sagte ich während ich mir die Jacke auszog und wieder an ihren Platz hängte.
„Oh, guten Morgen Sofia, wo kommst du denn her?“
„Ich war nur draußen und hab mir den Sonnenaufgang angeguckt.“ Währenddessen ging ich zum Kühlschrank und suchte alles für Rühreier zusammen. Ja, ich kann wirklich kochen.
„Der war bestimmt toll... Vielleicht sehe ich ihn ja morgen... Je nach dem, wie lange wir feiern.“ Sie zwinkerte mir zu und schaltete das Radio ein.
Irgendwann kamen auch die drei Übrigen und wir konnten zusammen ganz gemütlich frühstücken.
Am Nachmittag kam Magdalena dann mit einem Kleidersack und einer großen Tasche in mein Zimmer. Also war es endlich so weit, nur noch wenige Stunden, bis es losging.
Zuerst wurde ich geschminkt und damit geizte sie ganz und gar nicht. Ich war mir fast sicher, dass ich danach gar keine Maske mehr brauchen würde! Doch als ich dann in Spiegel schauen konnte war ich überrascht. Wie sie es gemacht hatte wusste ich nicht, aber meine Haut schien von innen heraus zu leuchten. Die Augen waren nur dezent geschminkt, aber trotzdem perfekt betont. Danach widmete sie sich meinen Haaren. Zuerst flocht sie einige Strähnen und drapierte sie mit Hilfe von kleinen Spangen um meinen Kopf. Danach steckte sie die restlichen Haare Strähne für Strähne an meinem Hinterkopf fest, sodass eine furchtbar kompliziert aussehende Hochsteckfrisur entstand. Diese Frau war eine Magierin! Ich wusste gar nicht, dass ich so gut aussehen konnte. Bevor das Kleid an der Reihe war, kam erst einmal etwas anderes. Magdalena drückte mir zwei Lederbänder in die Hand. Das eine war mein Pistolenhalfter und das andere schien für ein Messer gedacht zu sein.
„In das eine kommt deine Pistole und in das andere noch ein Dolch“, erklärte sie, als ich zögerte.
„Aber der Rock ist doch viel zu lang, um da schnell heran zu kommen...“
„Keine Sorge, ich hab ein bisschen was an dem Rock verändert.“
Ich befestigte die Riemen an meine Beinen und platzierte rechts meinen kleinen Revolver und links den Dolch, den Magdalena mir reichte.
„Sind die Waffen wirklich nötig?“, seufzte ich
„Laut Domenico schon und ich finde es auch besser, wenn du dich wehren kannst, nach dem was ich gehört habe...“
Welcher Mensch mit ein bisschen Verstand würde schon mitten auf einem Ball mit einer Schießerei beginnen? Aber man konnte ja nie wissen, vielleicht war es ja wirklich besser.
Jetzt zog ich das Kleid und die passenden Schuhe an. Magdalena legte mir noch eine Kette und ein feines Armband um, was meinen Look abrundete. Danach zeigte sie mir wie ich schnell an die Waffen kam. Sie hatte einfach zwei Schlitze in den Rock gemacht! Dadurch, dass er aus mehreren Lagen sehr feinmaschigen Organzastoffes bestand fielen sie auch nicht auf und ich kam ganz einfach an die Waffen heran. Jetzt lag es an mir zu warten.
„Du siehst großartig aus Sofia!“ Domenico, sehr elegant im Anzug, war der erste, der ins Wohnzimmer kam.
„Aber nur dank Magdalena...“
„Ach Quatsch, so viel hab ich gar nicht gemacht.“ Auch Magdalena kam jetzt aus ihrem Zimmer. Sie war wunderschön in dem Apricotfarbenen Kleid und mit den, über die Schultern drapierten, dunkelbraunen Locken. Auch wenn sie bescheiden tat, sah man ihr an, dass sie stolz darauf war, was sie aus mir gemacht hatte.
Gino und Michael kamen als letzte und ich sah sofort, dass Ginos Haare geschnitten wurden. Er sah ganz anders aus als gestern, jetzt bemerkte man erst die unglaubliche Ähnlichkeit mit seinem Vater.
Gemeinsam gingen wir zu dem Auto, mit dem wir auch gekommen waren und fuhren los. Unterwegs gab Domenico mir noch ein paar Anweisungen.
„Sofia, du kannst heute Abend machen was du möchtest, aber unter zwei Bedingungen. Erstens, halte dich so gut es geht immer in Sichtweite auf und wenn ich dich zu mir winke, dann musst du auch sofort kommen und zweitens, egal wer dich zum Tanzen auffordert, sag ja. Ich möchte, dass du den bestmöglichen Eindruck vermittelst und glaub mir, das ist zu deinem Besten.“
„Natürlich...“ Alles was Domenico entschied war 'zu meinem Besten'.
Nach einiger Zeit kamen wir an einem wunderschönen Schloss an. Michael blieb kurz vor dem Einfahrtstor stehen und setzte seine Maske auf, wir taten es ihm gleich. Dann fuhr er bis zum Eingang, wo wir ausstiegen und er den Autoschlüssel einem Einparkjungen übergab.
Drinnen war alles pompös geschmückt und man fühlte sich gut zweihundert Jahre in der Zeit zurückversetzt. Wir gaben unsere Mäntel an der Garderobe ab und hielten vor den Türen des Ballsaals noch einmal inne. Magdalena hakte sich bei Domenico ein und ich richtete noch einmal mein Kleid und hakte mich selbst bei Gino ein, was wahrscheinlich komisch aussah, da wir fast gleichgroß waren. Es konnte los gehen.
Als ich den Saal betrat, sprang mir aus der Menge eine Fee entgegen, die sich beim zweiten Mal hinsehen als Nora entpuppte. Ein Klischee möchte ich gleich einmal vom Tisch schaffen. Nur weil eine Person eine Maske trägt, heißt das noch lange nicht, dass man sie dann nicht erkennen kann! Das ist eine absolute Lüge, die uns eine menge Filme wieder und wieder verkaufen wollten.
„Sofia! Wie toll du aussiehst!“ Sie strahlte über das ganze Gesicht.
„Und du erst!“ Sie trug ein knielanges, rosa Kleid, das zum Saum hin immer heller wurde und aussah, als hätte sie eine Blume an. Ihre Maske hatte sie die Form eines Schmetterlings, der aus filigranen weiß und rosa lackierten Metallstreben geformt war. Ihre Haare trug sie leicht gelockt und nicht strubbelig, wie sonst.
„Komm mit, wir besorgen dir gleich mal was zu trinken.“
Sie packte meine Hand und zog mich zur Bar. Möglichst unauffällig hielt ich dabei Ausschau nach Alexander.
„Wehe du füllst mich wieder ab!“
„Ich hab dich nicht abgefüllt! Du hättest ja nein sagen können“, entgegnete sie breit grinsend. Verdammt, damit hatte sie Recht.
Nach einem Blick zu Domenico, um mich zu versichern, dass er mich nicht brauchte, setzten wir uns an die Bar und bestellten etwas zu Trinken. Kurz darauf traten zwei junge Männer zu uns. Wenn ich mich nicht irrte, waren es sogar Zwillinge.
„Guten Abend die Damen“, begann der, der direkt vor mir stand.
„Dürfen wir euch um diesen Tanz bitten?“, fragte jetzt der andere und beide verbeugten sich leicht. Nora und ich sahen uns kurz an und ich musste mich unweigerlich an Domenicos Bedingungen erinnern.
„Gerne“, antwortete ich und legte meine Hand auf seine. Auch Nora stimmte zu und wir ließen uns auf die Tanzfläche führen.
„Und?“ fragte mein Partner, als wir durch den Saal wirbelten. „Dürfte ich Ihren Namen erfahren?“
Ich versuchte kokett zu lächeln, was aber wahrscheinlich mächtig in die Hose ging.
„Würde das die Masken nicht überflüssig machen?“
Er schmunzelte nur milde.
„Sie haben natürlich vollkommen Recht. Sind Sie mit ihrer Freundin hier?“
Ich war mir nicht sicher ob er nur Smalltalk betreiben wollte oder eine lustige Fragerunde startete, aber um nicht merkwürdig zu erscheinen ging ich darauf ein.
„Nein, mit der Familie und wie sieht es bei Ihnen aus?“
Hinter seiner braunen Ledermaske konnte ich Augen erkennen, die die selbe Farbe hatten wie Alexanders und auch die Haarfarbe glich seiner auf den Ton genau.
„Gleichfalls. Haben Sie Geschwister?“
Ungewöhnliche Frage, aber gut warum sollten wir nicht weitermachen?
„Nein, aber sie scheinen ja mindestens einen Bruder zu haben.“
Sein Blick ging kurz zu Nora und dem Ebenbild meines Tanzpartners hinüber, bevor er antwortete.
„Sehr scharfsinnig, er ist mein Zwillingsbruder. Aber ich habe auch noch einen jüngeren.“ Einen Moment lang schwieg er.
„Verraten sie mir ihren Namen, wenn ich ihnen meinen verrate?“
„Vielleicht, versuchen sie es doch“, erwiderte ich mit einem leichten Lächeln.
„Tut mir Leid, aber Risiken gehe ich ungern ein.“ In diesem Moment endete das Lied. „Dann bleiben Sie heute Abend für mich wohl nur die ausgezeichnete Tänzerin im blauen Kleid.“
Er verabschiedete sich mit einem dahin gehauchten Handkuss und verschwand wieder in unter den Leuten. Ein Blick zu Domenico verriet mir, dass er mich beobachtet hatte. Mit einer Handbewegung bedeutete er mir zu ihm zu kommen.
„So so, noch nicht mal eine halbe Stunde hier und schon mit einem der Vorzeigezwillingen getanzt? Du bist gut.“
„Vorzeigezwilling?“
„Ja, Sebastian und Paul von Klint, Alexanders ältere Brüder. Sie waren von Anfang an Naturtalente und er muss ganz schön schuften um an sie heran zu kommen.“
Das erklärte Alexanders Reaktion in Klassenraum.
„Glaubst du er hat mich erkannt?“
„Natürlich, sonst hätte er dich wahrscheinlich gar nicht erst aufgefordert. Sie wissen wie du aussiehst.“
Ich konnte nicht antworten, da plötzlich ein Mann zu uns trat und dann war Domenico die nächste Stunde damit mich seinen Geschäftspartnern vorzustellen. Manche von ihnen forderten mich zum Tanzen auf und andere ließen mich lieber mit ihren Söhnen oder Enkeln tanzen. Das war ätzend! Als ich endlich entlassen wurde, drehte ich noch eine Runde mit Gino, weil er die ganze Zeit einfach nur so dastand und mit niemandem sprach. Danach wollte ich mich wieder auf die Suche nach Nora machen, wurde aber durch ein Tippen auf meiner Schulter aufgehalten. Ich drehte mich um, bereit denjenigen auf jeden Fall abblitzen zu lassen, falls ich wieder zum Tanzen aufgefordert wurde und fand mich vor einem nur zu gut bekannten Riesen wieder. Meine Vorhaben hatte sich schnell geändert!
„Nicolaj! Was tust du denn hier?“
„Wahrscheinlich das selbe wie du“, antwortete er lächelnd. Seine Maske war schlicht schwarz, mit einem feinen silbernen Rand und seine grünen Augen leuchteten dahinter hervor wie Smaragde. „Hab ich dir das Vorgestern nicht erzählt?“
„Nur, dass du über das Wochenende nicht da bist.“
„Hm... Naja, jetzt ist es ja egal und wenn wir beide schon hier sind... Würden Sie mir diesen Tanz schenken Krasavitsa?“, fragte er übertrieben höflich, mit der Andeutung eines Handkusses.
„Du bist der Erste heute Abend, dem ich ganz ehrlich mir einem 'nur zu gerne' antworten kann“, entgegnete ich lächelnd.
Es war großartig mit ihm zu Tanzen. Ich fühlte mich federleicht. Seine Hände schienen genau für meine gemacht zu sein und seine Schritte harmonierten perfekt mit meinen. Wir schienen eher über die Tanzfläche zu fliegen, als zu Tanzen und ich wünschte dieses Lied würde niemals enden.
„Übrigens“, sagte er plötzlich nachem wir eine weile geschwiegen hatten. „Du siehst umwerfend aus.“
Und schon stand mein Gesicht in Flammen.
„Dir steht dieser Anzug aber auch nicht schlecht“, antwortete ich betont locker. Bloß nicht rumstammeln!
„Ach, mir ist das zu eng.“
Ich hörte ihn nicht mehr, denn ich hatte Nora entdeckt und leider auch ihren Tanzpartner. Er trug eine schwarz-weiß karierte Maske, die aus Metall zu bestehen schien und ich spürte seinen Blick wie ein Brennen auf mir.
Verdammt! Die beiden bewegten sich auch noch auf uns zu. Ich versuchte Nicolaj in eine andere Richtung zu bugsieren, doch die beiden waren schneller. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Alexander tippte Nicolaj auf die Schulter.
„Partnertausch?“
Nein, nein, nein! Bitte nicht! Ich schickte eintausend Stoßgebete zum Himmel, doch sie brachten nichts. Nicolaj stimme zu und Sekunden später wanderte meine Hand von seiner Schulter auf Alexanders. Nora zwinkerte mir zu und ich hätte sie am liebsten umgebracht, aber ich rang mich zu einem Lächeln ab. Sie durfte keinen Verdacht schöpfen!
„Warum muss das jetzt sein?“ Fragte ich gequält.
„Also bitte, ich kann doch nicht mit ansehen wie meine Liebste mit einem anderen Tanzt!“ Erwiderte er empört. Dieses miese, kleine... mir fiel leider gerade kein Schimpfwort ein, das ihn ausreichend beschrieben hätte.
„Ich hab mit deinem Bruder getanzt...“ begann ich vielsagend.
„Ich weiß. Ich tanze besser als er, ist es dir aufgefallen?“
„Aber natürlich, als würde mir das entgehen“ und mir entging auch nicht, dass die Hand, die eigentlich an meiner Taille liegen sollte, bei jeder Drehung ein wenig tiefer wanderte.
„Natürlich, du merkst ja alles sofort.“
Und schwupps, spürte ich seine Hand plötzlich an meinem nackten Bein. Verfluchte Schlitze!
„Upps, da ist ja jemand schwer bewaffnet“, berichtete er mir grinsend. Ich knirschte mit den Zähnen und zog ihn ein wenig näher an mich heran, bis meine Lippen fast sein Ohr berührten. Vom weiten sahen wir vielleicht aus wie ein verliebtes Paar, doch da wurde weit gefehlt.
„Wenn deine Hand da nicht gleich verschwindet, dann zeig ich dir gerne mal wie schwer ich bewaffnet bin“, flüsterte ich und mit einen Abschiedsklaps auf meinen Hintern verschwand sein Grapscher wieder aus meinem Kleid. Zu schade, dass es zu auffällig wäre ihn einfach umzulegen!
„Ist ja ganz nett da unten, meine Liebe.“
„Schwein.“
Ich krallte meine Fingernägel so tief in seine Hand, dass sie sogar etwas blutete. Immerhin ein wenig befriedigend.
„Uh, das liebe Mädchen hat also auch eine wilde Seite? Gefällt mir.“
Der Kerl ließ sich einfach nicht unterkriegen! Ich durfte mich nur nicht von seinen Sticheleien zur Weißglut treiben lassen. Das war es doch was er wollte!
Endlich war der Tanz zu Ende! So schnell es ging flüchtete ich zur Bar und kurze Zeit später gesellte sich auch Nicolaj wieder zu mir.
„Ihr beide... Das sah ja ganz schön innig aus...“ Begann er langsam. Verdammt, er hatte es gesehen. Innerlich starb ich ein kleines bisschen, er sollte doch nicht denken, dass ich etwas von Alexander wollte!
„Oh, das! Das war nicht so wie es aussah! Er hat mich begrabscht musst du wissen und ich wollte ihn möglichst unauffällig dazu bringen es zu lassen... Man muss hier ja keine Szene machen...“
„Wenn das so ist...“
„Es ist wirklich ganz und gar nichts zwischen uns“, betonte ich noch einmal. Auf der Tanzfläche sah ich Domenico und Magdalena umherwirbeln und auch Nora hatte sich einen neuen Tanzpartner besorgt. „Entschuldige mich kurz....“
Schnell sprang ich von dem Barhocker und ging zu den Toiletten, steuerte an ihnen vorbei und eilte einen leeren Gang entlang. Ich brauchte einfach eine Pause und wenn es nur für zwei Minuten war. Hinter einer großen Topfpflanze wollte ich mich kurz niederlassen, aber da war schon besetzt.
„Och nö, was tust du denn hier?“ Alexander hatte seine Maske abgenommen und sah in dem perfekt sitzenden Anzug und mit den ordentlich zurück gekämmten Haaren aus wie ein sehr junger blonder James Bond. Nein, nein, nein, nein, böse Gedanken! Raus aus meinem Kopf!
„Pokern, wonach sieht das denn aus?“ Oha, Mr. Bond schien gereizt zu sein.
„Willst du drüber reden?“, fragte ich probeweise, als ich mich neben ihn auf den Boden setzte.
„Mit dir?“
„Nur weil ich dich nicht mag, heißt es noch lange nicht, dass ich nicht zuhören kann.“
„Vergiss es“, antwortete er und verschränkte die Arme.
„War einen Versuch wert...“ Ein Knurren kam zurück. „Ach ja, wag es nicht mich noch einmal zu begrapschen. Das nächste mal spar ich mir sonst die Drohung.“
„Ich hab dich doch nur nach Waffen durchsucht.“
„Und mir auf den Hintern gehauen!“
„Erstens, es war ein Klaps und kein Schlag und zweitens war das als Kompliment zu sehen.“
„Ohh, ich fühle mich ja so geschmeichelt.“ Ich verdrehte die Augen und streckte meine Beine aus. Ein Fehler, denn schon hockte dieser Dreckskerl über mir und hatte mein Kinn mit einer Hand umfasst, sodass ich gezwungen war in anzusehen.
„Glaub mir Kleines, wenn du dein Cousin wärst, dann würde das ganz anders aussehen.“
„Ach, wäre ich dann schon tot?“
Sein Gesicht kam meinem näher.
„Worauf du dich verlassen kannst.“
Und bevor ich irgendetwas entgegnen konnte, lag sein Mund auf meinem! Oh, wie sich das anfühlte! Seine Lippen schienen Funken zu sprühen und er schmeckte so gut! In diesem Augenblick schien die Zeit einfach still zu stehen. Ich schloss die Augen und umfasste mit den Händen seine Arme...
Moment mal! Was tat ich da?! Entsetzt über mich selbst, grub ich meine Zähne so fest es ging in seine Unterlippe, stieß ihn von mir runter und rappelte mich auf.
„Du bist furchtbar!“, schrie ich, während ich meine Maske wieder aufsetzte. Er betastete seine Lippe und grinste mich dabei an.
„Dir schien es aber gefallen zu haben.“
Ich schnaubte und rauschte stocksauer zurück in den Ballsaal. Mein erster Kuss und dann noch von ihm! Nein, das zählte nicht. Durfte man das überhaupt Kuss nennen, wenn man den anderen gebissen hat? Bestimmt nicht. Wo war Domenico? Ich wollte nur noch nach Hause! Wie konnte dieses Arschloch es wagen mich zu küssen?!
Nach einigem Suchen fand ich ihn endlich mit Michael, Magdalena und Gino an einem Tisch sitzen.
„Sofia, wo warst du?“ Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und seufzte.
„Willst du nicht wissen... Können wir zurück Hause fahren?“
Domenico runzele die Stirn.
„Auf keinen Fall, in einer halben Stunde die Masken! Davor kann man doch nicht abhauen und außerdem ist der Ball dann eh vorbei. Liegt das etwa an deinem heißen Tänzchen mit Alexander?“
Oh wie gern hätte ich meinen Kopf auf die Tischplatte geschlagen. Wenn es nur das gewesen wäre!
„Gut, wenn wir nicht gehen suche ich jetzt Nicolaj!“
„Nicolaj Staraja?“, fragte Domenico plötzlich. Oh nein, das hieß nichts gutes, wenn mein Onkel seinen Namen kannte.
„Jah... Ist irgendwas mit ihm?“ Wenn es da oben irgendjemanden gibt, der Gebete erhört, was ich nach den letzten Wochen doch stark bezweifle, dann hätte ich jetzt alles getan, damit Nicolaj nicht auch zu dieser verkorksten Mafiageschichte gehörte!
„Oh nein... Ich hatte seinen Namen nur auf der Gästeliste gelesen... Deswegen hab ich gefragt.“ Lügner! Domenico hätte sich doch nie diesen Namen gemerkt, wenn er nicht irgendetwas zu bedeuten hätte!
An der Bar fand ich Nicolaj, der auf mich gewartet zu haben schien. Wie lang war ich überhaupt weg gewesen?
„Hey, tut mir leid es ist etwas... dazwischen gekommen.“ ...eine Zunge...
Wie von selbst fingen meine Lippen wieder an zu kribbeln.
„Kein Problem. Ist alles okay? Du wirkst... gestresst.“ Verrat dich nicht Sofia!
„Nein, es ist alles okay. Wollen wir nicht noch einmal tanzen? Oder vielleicht was trinken? Wenn wir schonmal hier an der Bar sind...“
„Tanzen wäre wunderbar, wenn wir nicht wieder unterbrochen werden.“
„Dafür würde ich wenn nötig mit Gewalt sorgen“, antwortete ich, sehr darauf bedacht, es scherzhaft klingen zu lassen. Ich musste mich unbedingt beruhigen!
Die nächste halbe Stunde flogen wir gemeinsam über die Tanzfläche und ich vergaß sogar für einen Moment den Zwischenfall mit Alexander. Es war wieder alles perfekt. Mal sehen wie lange... Nein, jetzt keine negativen Gedanken! Alles war gut. Plötzlich ertönte ein Gong und die Musik verstummte. Ein Mann trat auf eine Empore und klopfte gegen ein kleines Mikrofon.
„Es ist so weit! Es war ein wunderbarer Abend und ich möchte sie nun alle bitten, ihre Masken abzunehmen! Natürlich können wir Sie jetzt nicht einfach so gehen lassen und daher möchte ich die werten Damen bitten, ihre Maske mit dem nächsten Herren rechts von ihnen zu Tauschen!"
Nicolaj stand links von mir, also wandte ich mich von ihm ab um die Maske zu Tauschen. Ich hätte mir ja denken können, wer da plötzlich neben mir stand. Wie schaffte er das überhaupt?! Wurde der Kerl es denn nie Müde, mich zu nerven?
„Was macht die Lippe?“, fragte ich, als ich nach seiner Maske griff. Er hielt sie jedoch weiterhin fest und zog mich ein wenig zu sich heran.
„Sie tut weh. Möchtest du die Wunde küssen, damit es schnell besser wird?“
„Verzichte.“, damit ließ er die Maske los und nachdem ich ihn meine in die Hand gedrückt hatte, verschwand er. Zum Glück hatte Nicolaj nichts von der kleinen Unterhaltung mitbekommen.
Die Party war endlich vorbei, ich verabschiedete mich von Nora und Nicolaj und machte mich mit den anderen vier endlich auf den Weg nach draußen. Diese Nacht war lang genug gewesen.